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Roskilde-Rock-Festival: Acht Besucher zu Tode getrampelt

Während des Auftritts von Pearl Jam waren in der Nacht zum Samstag drei Dänen, drei Schweden, ein Niederländer und ein Polizist aus Hamburg vor der Bühne von der Menge zu Tode gequetscht oder getrampelt worden. 25 Verletzte wurden in das Krankenhaus der Stadt eingeliefert. Einer von ihnen schwebt noch in Lebensgefahr.

Obwohl Festivalchef Leif Skov ankündigte, das Festival werde trotz des Unglücks während eines Konzerts der Gruppe Pearl Jam wie geplant bis heute (Sonntag) Abend weitergehen, sagten die Bands Oasis und Pet Shop Boys ihren Auftritt ab. In einer Presseerklärung der Musiker hieß es, die Sicherheitsvorkehrungen durch das Festival hätten sich seit der Tragödie nicht wesentlich geändert. Deshalb befürchte man, dass sich ein solches Unglück wiederholen könnte. Es sei respektlos gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen, bei
dem Festival aufzutreten. Die Veranstalter hingegen nannten die Entscheidung der Musiker "respektlos gegenüber den Fans".

Mehr als zehntausend Besucher des Roskilde-Festivals gedachten gestern Abend bei einer kurzen Zeremonie vor der "Orange Scene" genannten Unglücks-Bühne der acht Toten. Der evangelische Bischof von Roskilde, Jan Linhardt, sprach von der Bühne ein Gebet für die Opfer und sagte, trotz des schrecklichen Unglückes dürfe auch beim Festival der Tod nicht über das Leben siegen.

Nach Schweigeminute hellte sich die Stimmung auf Von Trauer, Ratlosigkeit, aber bei vielen auch ein unbeirrbares Verlangen nach Vergnügung waren die Reaktionen der Fans gestern geprägt. Während der Toten gedacht wurde, wummerte im Hintergrund von anderen Bühnen schon wieder Techno, Heavy Metal, Rock und Dance Music.

Viel geweint wurde, als Bischof Lindhardt das Gebet sprach. "Es ist gut, dass die jungen Leute nicht einfach mit einem Abbruch nach Hause geschickt worden sind. Jetzt können sie dieses Unglück wenigstens ein bisschen gemeinsam bearbeiten", meinte Ann-Kerstin Christensen aus Roskilde, deren Töchter Sonja (16) und Louise (14) beim Konzert von Pearl Jam mit dem schrecklichen Ausgang dabei gewesen waren.

Die Gedenkzeremonie mit dem Bischof und einer Schweigeminute schien für viele der zehntausenden Zuschauer die Funktion einer Beerdigung zu haben. Waren vorher fast nur bedrückte Mienen auszumachen, hellte sich die Stimmung danach zusehends auf. Dankbar vernahmen die Zuhörer, viele davon mit dem hier obligatorischen Becher Bier in der Hand, dass der Bischof mit fast denselben Worten wie zuvor Festivalchef Leif Skov die Fortsetzung des größten europäischen Rockfestivals mit dem Satz begründete: "Der Tod darf nicht
über Leben siegen."

Ganz anders sahen das die für Samstagnacht als Hauptattraktionen auf dem Programmen stehenden Rockstars von Oasis und den Pet Shop Boys. "Es wäre respektlos gegenüber den Toten und ihren Familien, genau da zu spielen, wo diese Menschen gestorben sind", erklärten die Bands gemeinsam und warfen der Festivalleitung vor, nichts Zusätzliches für die Sicherheit vor der "Orange Scene" getan zu haben. "Es wäre doch geradezu beleidigend, wenn wir mit unserer Partyshow auftreten würden", meinte Neil Tennant, einer der beiden Sänger von Pet Shop Boys zornig, als er hörte, dass die Festivalleitung seiner eigenen Band und Oasis "Respektlosigkeit vor den Fans" vorgeworfen hatte.

Alle anderen Musiker hätten auftreten wollen, entgegnete Festivalchef Skov den britischen Superstars. Etliche der Auftretenden versuchten, mit einer Geste den Widerspruch zwischen Trauer und "The Show Must Go on" zu überbrücken. Der senegalische Worldmusiker Youssou N'Dour unterbrach sein Konzert auf der "Orange Scene", ging hinunter ins Publikum und legte Blumen für die Toten nieder. Der Sänger der wild aussehenden schwedischen Heavy-Metal-Band "In Flames" sagte vor Beginn seines Konzertes: "Es ist sehr merkwürdig, nach diesem Unglück hier Musik zu machen. Wir widmen unser Konzert den Toten und ihren Angehörigen." Jeder nahm ihm ab, dass er das ehrlich meinte, ehe die Band mit ihrem harten Metal loslegte.

Die von vielen erwartete Massenflucht blieb aus. Und auch bei etlichen Konzerten schien die Stimmung eindeutig von dem Wunsch auf und vor der Bühne geprägt zu sein, möglichst schnell zu vergessen. "Do you feel ok?" röhrte die Sängerin der britischen "Moloko" ihr Publikum an, bekam das übliche "yeah" zurück, versprach allen eine "good time" und hüpfte los, als sei nichts geschehen.

In den dänischen Medien erhielt die Festivalleitung überwiegend Zustimmung für ihre Entscheidung zum Weitermachen. Lediglich "Ekstra Bladet" hielt einen Abbruch für das einzig Angemessen. "Berlingske Tidende" meinte dagegen:
"Es wäre verantwortungsloser gewesen, die 90.000 geschockten Menschen einfach nach Hause zu schicken, noch dazu ohne dass man wusste, ob Freunde unter den Opfern waren. Die gewählte Lösung erscheint uns als die menschlich und praktisch am wenigsten unterträgliche."

Thomas Borchert, dpa

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